Mozart Serenade im Pfarrgarten

Mozart Serenade

Sebastian Baur spricht Mozartbriefe.
Das Ensemble St. Blasius unter der Leitung von Erhard Ploner spielt Evergreens aus Mozarts Opern.

Zeit: Sonntag, 27. August 2006, 17 Uhr nachmittags
Ort: Niederolang, Innenhof des Widums
(bei schlechter Witterung im der Öffentlichen Bibliothek)

Das Genie, dessen Musik seit ihrer Niederschrift die ganze Welt berührt, war im täglichen Leben ein relativ einfacher, oft derber, in vielen Dingen ungeschickter Mann aus dem Volke. Dies bezeugen seine Briefe, nicht nur die oft zitierten „Bäsle-Briefe“ mit ihren erotischen Andeutungen und ihrer Fäkalsprache, sondern auch die Briefe an seinen Vater und seine Frau. Sie sind geeignet, uns den Menschen Mozart und die Umstände, unter denen er lebte, näher zu bringen.

Dieses Bild wird ergänzt durch die musikalischen Zitate aus der „Die Zauberflöte“, „Die Hochzeit des Figaro“ und „Don Giovanni“, Arien, die einerseits sein Talent zeigen, Stimmungen und Charaktere vortrefflich wiederzugeben, andererseits nicht nur einer Elite vorbehalten waren, sondern – wie z.B. die Zauberflöte - vom Volk mit Begeisterung aufgenommen wurden.

Die Besetzung in „Harmoniemusik“ – also für ein Bläserensemble mit je zwei Klarinetten, Oboen, Hörnern und Fagotten diente ihm als willkommenes Mittel, seine Werke unter die Leute zu bringen, war doch der Aufwand hiermit nicht so groß, wie bei der Verwendung eines ganzen Orchesters mit Gesangssolisten.

Das Ensemble St. Blasius, Innsbruck, besteht aus Nord- Ost- und Südtiroler Musikern, die alle an Musikhochschulen in Österreich und Deutschland studiert haben und sich im von Karlheinz Siessl und Richard Schober gegründeten Kammerorchester Akademie St. Blasius als Bläsergruppe formiert haben. Neben den Orchesterkonzerten mit Werken von Bach (Kantaten, Orchestersuiten) bis Stravinsky (Pulcinella Suite) und regelmäßigen Uraufführungen, spielen die Bläser jedes Jahr auch Konzerte in Harmoniemusikbesetzung aus dem reichhaltigen und anspruchsvollem Repertoire der Bläserkammermusik. Schloßkonzerte, Serenaden mit den Divertimenti von Haydn, Mozart, Beethoven, der Bläserserenade von Dvorak, aber auch neuere Werke wie die Suite Glück, Tod und Teufel von Gottfried von Einem oder das Alpbacher Quintett von Krenek standen bisher auf den Programmen.

Die Musiker:
Lukas Runggaldier, Richard Schober (Oboe)
Stefan Moosmann, Manuel Lämmle (Klarinette)
Klaus Dengg, Armin Graber (Horn)
Erhard Ploner, Lukas Gruber (Fagott)

Sebastian Baur
Der Schauspieler, Rezitator und Autor („Puschtra Mund Art“) stammt aus Toblach und lebt in Berlin. Mit seinen literarischen Shows ist er häufig in Südtirol zu Gast.
Mehr über Sebastian Baur unter www.sebastianbaur.de

Mund.Art in der literaturWERKstatt Berlin

Liebe Freundinnen und Freunde der Literatur!
Ich darf Ihnen hiermit ein ungewöhnliches Leseereignis ankündigen. Bitte sagen oder mailen Sie es weiter:

Im Rahmen des Projektes MUND.ART veranstaltet die literaturWERKstatt Berlin zwei Abende mit Autoren aus Deutschland, Österreich und Südtirol, die die Mundart als eigenständige Literatursprache in ihren Texten verwenden.
 
Mund.Art : Dramatische Texte
In Lesung und Gespräch:
PETER TURRINI und FRANZ XAVER KROETZ
Moderation Wendelin Schmidt-Dengler Literaturwissenschaftler, Wien

ZEIT: Mittwoch, dem 25. Januar 2005, 20 Uhr
ORT: Kesselhaus der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, 10435 Berlin
10 € / erm. 7 €


Aus „Kir Royal“ und der „Alpensaga“ sind sie einem breiten Publikum bekannt: „Baby Schimmerlos“ Franz Xaver Kroetz (*1946) und Peter Turrini (*1944). Nun eröffnen die beiden Erfolgsautoren ein Projekt, das an zwei Abenden Dialektliteratur präsentiert, die jeder verkitschten Heimatliteratur entgegensteht. Mit Skandalstücken wie „Rozznjagd“ und „Heimarbeit“ ebneten Turrini und Kroetz dieser literarischen Strömung den Weg. Ihre provokanten sozialkritischen Dramen brachen Anfang der 70er Jahre jedes Klischee und führten sie zum wilden Aufbruch. Damals massiv umstritten, gelten Peter Turrini und Franz Xaver Kroetz heute als Klassiker des modernen Volkstheaters, als Nestoren der Dialektliteratur und zählen zu den meistgespielten deutschsprachigen Dramatikern. Die aktuelle Theaterszene prägen Turrini und Kroetz aber auch mit neuen Stücken. An diesem Abend liest Turrini aus „Rozznjagd“, Kroetz aus seinem neuen, unveröffentlichten Dialektdrama, das im Juni 2006 am Residenz-Theater München uraufgeführt wird.
__________________________
  
Mund.Art : Lyrik
In Lesung und Gespräch:
SEBASTIAN BAUR, AXEL KARNER, CHRISTINE NÖSTLINGER
Moderation Wendelin Schmidt-Dengler Literaturwissenschaftler, Wien

ZEIT: Donnerstag, 26. Januar 2005, 20 Uhr
ORT: Maschinenhaus der Kulturbrauerei, Knaackstr. 97, 10435 Berlin
8€/erm. 5€


Dialektliteratur steht wieder hoch im Kurs. Denn die aktuelle europaweite Tendenz zur politischen Zentralisierung provoziert eine Gegenbewegung: die Regionalisierung. Wer jetzt moderne Biedermeierliteratur erwartet, täuscht sich. Die Zuwendung zur Mundart ist weder auf inhaltlicher noch auf sprachlicher Ebene Rückbesinnung, vielmehr aufregendes Wagnis. Zeitgenössische Dialektlyrik nutzt hochkreativ einen sprachlichen Raum, den sie experimentell weiterentwickelt. Sie inspiriert. Und plötzlich begreift man Dialekte als eigene Sprachen (deren Übersetzung wir dem Berliner Publikum als simultane Projektion mitliefern).
Das wird spätestens deutlich, wenn Wolfgang Sebastian Baur (*1950) seine experimentellen Übertragungen von internationaler Lyrik liest: Artmann, Pasolini, Hölderlin und Korn erscheinen im Pustertaler Dialekt und gewinnen damit eine neue Dimension. Oder wenn Christine Nöstlinger (*1936) Menschen in der von ihnen gesprochenen Sprache beschreibt und dabei jegliche Distanz zwischen Schreibender und Beschriebenem zu verschwinden scheint. Oder wenn der im Kärntner Dialekt schreibende Axel Karner (*1955) Werke aus seinem neuen Buch präsentiert, das er mit „pechschwarzer ‚dint‘“ (Literatur und Kritik) geschrieben hat. Dabei ist er ebenso brisant wie einst die Wiener Schule.

Detaillierte Information unter:

http://www.literaturwerkstatt.org

www.sebastianbaur.de

literaturWERKstatt Berlin
Knaakstraße 97
(Kulturbrauerei)
10435 Berlin
fon: +49.30.48 52 45 0
mail@literaturwerkstatt.org
U - Eberswalder Straße










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Sebastian Baur auf Lesereise im Herbst 2005 - Lesungstermine im November

Liebe Freundinnen und Freunde der Literatur!
Ich trete im November mit drei meiner Programme in Südtirol auf. Detaillierte Information über die einzelnen Lesungen finden Sie auf dem blauen Feld links unter "Aktuelle Beiträge".
Wenn Sie künftig über die Termine meiner Lesungen informiert sein wollen, schicken Sie mir bitte ein e-mail, ich werde Sie dann in den Verteiler aufnehmen. Vielen Dank.

Bitte merken Sie sich die folgenden Lesungs-Termine im November vor:


foto

DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT von Karl Kraus
Innichen, Cafè Mitterhofer
Donnerstag, 10. November, 20:30 Uhr

HISTORIA VON DOCTOR JOHANN FAUST
Burgeis, Vinschgau Fürstenburg
Freitag, 11. November, 20:30 Uhr


VON GRANTLERN UND KÄUZEN
Literatur aus dem alten Österreich

Lana, Öffentliche Bibliothek
Dienstag, 15. November, 20 Uhr








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"DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT " von Karl Kraus

SEBASTIAN BAUR spielt Szenen aus dem Kriegsdrama
"DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT" von Karl Kraus


kokoschka
Oskar Kokoschka, Portrait Karl Kraus, 1925

Donnerstag, 10. November 2005, 20:30 Uhr
Innichen, Kunstraum Cafè Mitterhofer, Rainerstraße 3

Eintritt frei

Die letzten Tage der Menschheit sind wohl das bedeutendste Werk des großen Realsatirikers. Mit seinen zahlreichen Szenen und zahllosen Figuren ist es „einem Marstheater zugedacht“ (Kraus). Ein grausam komischer und erschütternder Bilderreigen des Ersten Weltkriegs, beginnend mit dem Mord des Thronfolgers in Sarajewo, endend mit dem Zusammenbruch Österreichs.
Karl Kraus montiert Zeitungsausschnitte, Postkarten, Briefe, Flugblätter, erlauschte Gesprächsfetzen zu bildkräftigen Szenen, in welchen er Vertreter aller Gesellschaftsschichten karikiert und die allgemeine Kriegsbegeisterung, die Korruption in der Politik und die Macht der Medien schonungslos brandmarkt. In der Fackel schreibt er: "Das aktive Böse dieser Welt ist heute in Westeuropa in der Form der Formlosigkeit in Presse und Publikum zu Hause, in Parlamentarismus, Wählerschaft, Bank- und Geldwirtschaft, lauter anonymen, vollkommen verantwortungslosen, nicht fassbaren Massenmächten."
Kraus’ Abrechnung vollzieht sich sprachlich virtuos und ist erschreckend aktuell.

Sebastian Baur, TradActeur, MundArtist & VokaLinguist, erweckt als Ein-Mann-Lese-Theater den schrillen Reigen von Typen, Figuren und Zerrbildern einzig mit dem Instrument seiner Stimme zum Leben.






Puschtra Mund Art. Gedichte und Nachdichtungen in Pustertaler Mundart

puschtra_flyer

Zur Lesung:

LIEBE, TOD, DORF, HEIMAT, NATUR sind die Themen des poetischen Soloabends von Sebastian Baur. Der Star des Abends aber ist die Sprache seiner Kindheit: alle Texte erklingen in der Pustertaler Mundart. Welch poetische Ausdruckskraft ihr innewohnt, demonstriert Sebastian Baur anhand von Texten und Liedern aus seinem Gedichtband tobbla.gidichto. Seine Pustertaler Nachdichtungen der Wiener Mundartgedichte von H. C. Artmann aus med ana schwoazzn dintn (1958) kommen dabei ebenso zu Wort und Klang wie seine Übertragungen der jiddischen Lyriktexte aus Gedichtband Dorf von Rochl Korn (1928) und seine Pustertaler Versionen internationaler Lyrik von den Anfängen des Schrifttums bis zur Moderne.

Sebastian Baur, Schauspieler, Autor, Übersetzer, stammt aus Toblach. Er lebt in Berlin.
„Puschtra Mund Art“ ist im Herbst 2003 im FOLIO Verlag Wien Bozen erschienen und erlebte schon 2004 eine Neuauflage. Sebastian Baur war damit nicht nur an vielen Orten in Südtirol sondern auch im deutschsprachigen Ausland zu Gast. Mehr Information unter <http://www.sebastianbaur.de">www.sebastianbaur.de

KINDHEITSSPRACHE ALS DICHTUNGSSPRACHE - Wolfgang Sebastian Baur über die Mundart als Medium lyrischer Erfahrung

In: KULTURELEMENTE. Zeitschrift für Aktuelle Fragen
Hrsg. von der Distel-Vereinigung - Nr. 46 April 2004
Interview: Bernhard Nußbaumer

Ist Mundart als Dichtungssprache in der aktuellen Literaturlandschaft „trendig“ oder eher „exotisch“?

Ich begreife die Kindheitssprache als Sprache der Dichtung. Da meine Kindheitssprache eine Mundart ist, wird sie mir zur Dichtungssprache.

Der neuerwachte europäische Regionalismus bewirkt eine gewisse Besinnung auf die eigene kleinräumige Alltags-Kultur, eine Renaissance des Lokalen, eine Aufwertung des regional Gewachsenen als Reaktion auf eine möglicherweise als bedrohlich empfundene nivellierende „Eurokultur“. Die Verwendung des Dialektes bei SMS-Botschaften in Südtirol könnte man trendig nennen.

Gereimte Heimattümelei ist noch nicht Dialektdichtung. Man mag meine Versuche exotisch nennen; ich verstehe sie als autochthon. Sie gehört dem Einheimischen seit jeher. Ich schreibe meine Texte nicht von außen an die Menschen heran, sondern aus ihnen von innen heraus. Mundart oder Dialekt, wie ich ihn verwende, ist zwar regional begrenzt verständlich, mein poetisches Experiment weist aber – wie ich glaube – über diesen Rahmen hinaus.


Spiegelt Mundart „ländliche Lebenserfahrung“ - oder überhaupt Lebenserfahrung - besser als Hochsprache?

Mundart spiegelt die Lebenserfahrung derer, die in der Mundart aufgewachsen sind. Von der Qualität dieser Erfahrung hängt ab, wie sich das sprachlichlich niederschlägt. Hochsprache leistet das auch nicht besser. Erfahrung des Lebens zieht aber nicht notwendig Texte nach sich, wird nicht zwangsläufig verbalisiert. Sie bleibt zumeist stumm. Nur das, was unbedingt zur Sprache kommen muss, ist mein Material. Die Bausteine meines Mundartschreibens sind meist griffige Etiketten, situative Resumees, die eine Formel, eine einzige Redewendung übrig lassen, welche dann eine exemplarische ist. Je knapper desto besser, so kann das ungesagt Bleibende mitschwingen.


Und weiter: ist mundartliche Erfahrung an ein ländliches Erfahrungsfeld gebunden? Entsprechen die Sprachmuster den Erfahrungsmustern?

Mundart und Lebenswelt sind idealerweise eins. Sprache und Lebenswelt bedingen einander. Die Frage ist nur, wie redlich der Produzent poetischer Texte verfährt. Erfahrungsmuster gerinnen zu Sprachmustern. Diese Erfahrungsmuster werden in einer Gemeinschaft zu Emblemen erlebter Lebensituationen. Die Gleichförmigkeit, die stetige Wiederkehr, die Formelhaftigkeit alltäglicher Erlebnisse sind es, die eine Gemeinschaft konstituieren. Die daraus resultierenden Wörter und Sätze sind der Ausweis der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft. Sie sind ein Produkt des Einverständnisses über einen gemeinsamen Wissensfundus. Solcherart wird eine Situation nicht extensiv beschrieben, sondern intensiv zitiert. Emotional chiffrierte Befindlichkeit wird evoziert und dadurch wiederbelebt. Kernsätze dieser Art sind das Grundmaterial für meine Gedichte. Ich beschreibe nicht, ich tippe nur an; die Inhalte liegen bereits da, brauchen also nur aktualisiert zu werden. Der Wiedererkennungseffekt ist immediat.

Alle Sätze in meinen Gedichten haben schon längst existiert; ich habe sie nicht erfunden, sondern vorgefunden. Ich wähle aus einer Anzahl möglicher Sätze den gemeinsamen Nenner, den „Oberbegriff“ aus. Ich halte ihn hoch als Kennmarke, auf welche der Leser auf Grund einer stillschweigenden Verabredung reagiert.


Wie vermeidet man im Mundartgedicht Kitsch? Kitsch im Sinne unrealistischer Wirklichkeitschau, Postkartenmalerei, Heimattümelei?

Indem man vorgefundene Realität nicht beschönigt, verziert, verfälscht. Kitsch ist ein Phänomen der Ungleichzeitigkeit, ist Inkompatibilität von Gegenstand und den Mitteln seiner sprachlichen Fassung. Kitsch ist auch der Rekurs auf Wunschwelten oder glorifizierte Vergangenheit, Kitsch ist Sentimentalität statt Sentiment. Kitsch ist eine Heugabel an der Wand einer Disco, ein Butterkübel als Schirmständer, der atmosphärische Authentizität suggerieren soll. In Wahrheit sind diese Geräte nur ein Versatzstück aus einer bäuerlichen Welt, die aufgehört hat zu sein; ein frivoles, beinah obszönes Relikt einer untergegangenen sozialen Realität. Gedichte, die eine vermeintlich bessere, letztlich durch Nostalgie verschleierte vergangene Welt als Gegenentwurf zur scheinbar platten, grausamen aktuellen Realität heraufbeschwören, ohne deren soziales Gefüge zu sehen, etwa eine vom Tourismus zerstörte Landschaft, sind per se kitschig.
Man kann Kitsch aber auch als augenöffnendes Stilmittel verwenden, um die Aussage zu verschärfen und zu verdeutlichen, als eingezogenen doppelten Boden. Ein solcher fehlt konventionellen mundartlichen Elaboraten in fast allen Fällen.


Zur „Sprachtechnik“: entsteht die Mundartlyrik als Übertragung aus der Hochsprache oder geht sie vom Dialekt aus?

Mundartlyrik, wie ich sie verstehe, geht von der Lebenswelt der Mundart aus. Sie wird in ihr geboren und wächst in ihr auf. Mundarten sind nicht die armen Vettern der reichen Hochsprache, sondern trotz ihr geringer Reichweite vollgültige Sprachsysteme. Sie gehen von sich selbst aus, brauchen nicht die Vermittlung der Hochsprache. Aus vermeintlich überlegeger Position der Hochsprache in die Mundart „übersetzte“ also „heruntergeschraubte“, Texte sind ein ärgerliches Unding, das leider immer wieder Anhänger findet. Hier setzt der Ausverkauf der echten Volkskultur ein und das endet im Kitsch, siehe oben.

Mit meinen mundartlichen Nachdichtungen, Anverwandlungen, Imiationen hochsprachlicher Lyrik hingegen will ich zeigen, dass der Dialekt der Hochsprache an Ausdruckskraft und Bildmächtigkeit durchaus das Wasser reichen kann.

Ich denke nicht in Kategorien wie „hoch“ und „niedrig“ An Texten interessiert mich nur ihre Wahrheit.


Wie finden Sie die Schriftform für Dialektlaute, die ja oft nicht eindeutig den uns geläufigen Konsonanten- oder Vokalzeichen entsprechen.?

Ich habe es mir und meinen Lesern nicht leicht gemacht. Ich wollte alle Anklänge an die hochsprachliche Verschriftungsform vermeiden. Ich habe keine diakritischen Zeichen, keine Umlaute verwendet, das sie mir zu „mundarttypisch“ erscheinen. Ich verwende keine Satzzeichen und keine Großschreibung . Meine Texte sind nicht für Stummleser, sondern für Lautleser gemacht.

Artmann hat sich in seinen Mundartgedichten für eine Mischung aus konventioneller Schreibung und Phonetisierung entschieden. Wahrscheinlich aus Rücksicht auf den stummen Leser, der seine Information aus der Schrift bezieht. Ich arbeite über das Ohr und nicht über das Auge. Daher mussten meine Texte möglichst genau so geschrieben werden, wie man sie spricht. Das ist nicht durchwegs gelungen, weil unsere hochdeutschen Schriftzeichen ja ihrerseits oft schon mehrere Buchstaben erfordern, um einen einzelnen Laut zu bezeichnen (z. B. ch, sch, ie als langes i usw.). Auch die Notation von offenen und geschlossenen Vokalen stellt ein Problem dar. Ich habe es nicht lösen können, weil unsere Schriftzeichen zu ungenau sind.

Gänzlich ausgeschlossen war auch jeder Versuch „sprachwissenschaftlicher Notation“. Ich kann und will mit volkskundlicher oder dialektologischer Akribie nicht dienen. Meine Texte sind Kunstprodukte. Sie schaffen sich ihre eigene Realität. Man kann sie nur anhand des wirklichen Lebens auf Echtheit prüfen, jede Wissenschaftlichkeit liegt ihnen fern.

Mundart hat eine eigene onomatopoetische Qualität. Inspiriert das beim Schreiben? Wie wichtig ist diese Dimension?


Lautmalerei ist universal. Sie findet sich in allen Sprachen und Dialekten der Welt. Sie ist nichts Dialektspezifisches. Es geht bloß darum, wie man sie dichterisch einsetzt. Der Meisenruf klingt im Ohr des Oberpustertaler Vogelfängers wie „pfutschi-pfutschi-ggeingg-ggeingg-ggeingg“. Es ist eine Übersetzung des tierischen Vogelrufs ins menschlich Hörbare und somit ins sprachlich Fassbare, verbal Imitierbare. Auch der Vogelruf unterliegt der Hör-Konvention. Deutsche Hunde sagen „wau-wau“, englische „wooff-wooff“, italienische „bau-bau“ usw.

Mein Text „do teite tuit die tout au“ verdankt seinen Reiz überwiegend der Lautlichkeit. Der Inhalt tritt zurück. Aber die Laute schaffen es anscheind, die Geschichte dieser verkorksten Ehe besser zu erzählen als die Wörter. Die Wörterreihe „teite-toute-tout-toat“ reicht aus. Die die Story wird phonetisch erzählt, besser: konterkariert; daraus resultiert Komik, die ja stets eine Kontrastwirkung ist (siehe Bergson, Das Lachen).


Sie verwenden in ihren Gedichten sprachliche Versatzstücke des Dialekts (ausn pan templ, ausn pan toule, maliewo, faalt do nicht usw. Inwiefern geben diese eine „gültige“ Wirklichkeitsbeschreibung?

Es gibt keine „gültige“ oder gar letztgültige Wirklichkeitsbeschreibung. Man (be)schreibt allenfalls und bestenfalls seine eigene Wirklichkeit. Andere erkennen sich in dieser. Die obigen Sätze sind Verschleifungen von Wortgruppen, saloppe Wendungen des sprachlichen Alltagsgebrauchs, Ausdrücke, die man anwendet, wenn man auf bekannte Situationen anspielt; der Ausdruck maliewo ist mehr als die Verbindung der beiden Wörter „mein Lieber“; indem ich sie zu einem Wort verschmelze, vermeide ich Eindeutigkeit. Er ist vielfältig verwendbar, scherzend, drohend, bewundernd.


Zu tobbla.gidichto schreiben Sie „Ich bewohne meine Texte wie einst das Dorf meiner Kindheit“. Können Sie dazu – und überhaupt zum Entstehungsprozess des Zyklus - Stellung nehmen?

Der Anlass war mein Weggang aus meinem Dorf. Ich musste mein hoch verschuldetes Elternhaus verkaufen. Doch ich bedauerte nicht so sehr den Verlust meines Kindheitsgehäuses, sondern das subjektiv schmachvoll empfundene Ausscheiden aus der Dorfgemeinschaft, die meine Familie war. Der Schmerz war sehr schwer erträglich. Ich zog mich nach Berlin zurück. Nach Jahren des erzwungenen „Exils“ stellten sich Echos in Gestalt von Wörtern und Sätzen ein. Gesichter, Figuren tauchten auf, redeten mit mir. Auf langen Spaziergängen sprach ich alles auf ein Diktaphon. Ich sammelte Sätze und Wörter; ich barg sie, wie man Verschüttetes ausgräbt, wie man an Land Gespültes verwahrt zu späterer Verwendung. Ich hortete angeschwemmtes Treibgut aus meiner schmerzlichen Vergangenheit. Ich hatte noch kein Ziel. Die Funde waren mir lebenswichtig. Sie bedeuteten Heimat, was immer das sein mag. Sie waren Belege einstiger Zugehörigkeit. In sieben Jahren verdichteten sie sich schließlich zu Texten. Sie scheinen meinen Lesern ihre Heimat zurückzugeben. Und ich habe, in meinen Texten, wieder ein Zuhause gefunden.


Die Übertragungen aus dem Jiddischen: aus welchen Landschaften stammen diese AutorInnen? Welche Gemeinsamkeiten dieser ländlichen Welten haben sie vorgefunden? Ist es reine „Übersetzung“?

Rochl Korn und Schmuel Jakob Imber stammen aus Galizien, Manger ist ebenfalls dort geboren und wird später Exponent rumänischer Dichterschulen.

Rochl Korn thematisiert die dörfliche, ländliche Welt. Die Nachdichtungen in meinem Buch sind ihrem in Wilna erschienenen Lyrikerstling „Dorf“ (1928) entnommen. In ihren Gedichten finde ich eigene Erfahrungen meiner Dorfkindheit wieder. Letztlich sind ihre Texte reiner Expressionismus. Ich fand es anregend, diesem das Sprachkleid meiner Mundart zu geben.


Wie beschreiben Sie die Zusammenarbeit mit H. C. Artmann? Wie würden Sie seinen Einfluss auf Ihre Arbeit bezeichnen?

Artmann war mir Freund, Bruder, Mentor, Lehrmeister, Animator, Spielgefährte, Kumpel. Der Altersunterschied war unbedeutend. Wir mochten einander gut leiden. Ich war nie sein Fan, er nicht meiner. Wir hatten einander lieb und respektierten einander auf gleicher Ebene. Ich war kein Dichteraspirant. Wir waren einander ideale Gesprächspartner, interessierten wir uns doch beide für alles Sprachliche, Randsprachliche, Kleinsprachliche, Sondersprachliche, Unsprachliche. Wir kannten unsere jeweiligen Bibliotheken; er las meine, ich seine. Sie bestehen aus unzähligen Grammatiken fremder und exotischer Sprachen, Lexika, Wörterbüchern, Sprachführern, Fundstücken und Kuriosa aller Art. Wir lasen einander vor. Spielten Texte und Gedichte. Kam er mir auf Gälisch, zahlte ich auf Zimbrisch heim, machte er einen Wiener Vorstadtfrisör nach, half ich mit einem Innsbrucker Schilehrer aus. Wir blödelten wie die Kinder. Soffen miteinander. Vögelten parallel. Wir spazierten, flanierten, fachsimpelten und verstummten vor der Natur, die wir beide liebten, der wir erlagen. Wir verabredeten ein Treffen in Port Moresby auf Neuguina, um dort gemeinsam mit Father Mihalic die Waldmohren aufzusuchen, um mit denselben in gepflegtem Tok Pisin zu parlieren; im Geist, versteht sich. Ich verdanke ihm viel, wenn nicht alles, aber da waren auch noch Eliot, Poe, Keller, Schmidt, Lavant, Hebel, Alte und Neue und viele viele andere...

Es war seine Idee, dass ich seine Mundartgedichte in mein „vernaculares pustatalisch“ übersetze. Er hat lang vor mir gewußt, dass ich es kann. Seine Gedichte spielen in der Wiener Vorstadt, meine im Toblacher Dorf. Dorfwelt und Vorstadtwelt sind eine Münze mit zwei Seiten. Ich habe meine Seite geprägt. Meine eigenen Gedichte sind zugleich mein Tribut an ihn wie auch sein Geschenk an mich. Er fehlt mir wie ein Stück Brot, wie man in Wien sagt.


Zu den „Nachgedichten“: Was bringt es, „große Literatur“ mundartlich einzugemeinden und dadurch zu „verkleinern?“

Mit meinen Nachdichtungen hochsprachlicher Weltliteratur in Mundart will ich zeigen, dass mundartlich gefasste Realität und deren emotionale Welt den sogenannten „großen“ Dichtung nicht nachsteht. Dabei habe ich mich auf die Themen beschränkt, die in jeder „großen“ Dichtung aller Zeiten vorkommen: Tod, Liebe, Eros, Heimat, Natur;
Der Dialekt kann sich zwar an Reichweite nicht mit der Hochsprache messen. Sein Aktionsfeld ist naturgemäß klein. Das heißt aber nicht, dass seine Themen klein sein müssen ind. die Mundart kann hier durchaus mithalten. Ich ignoriere den angeblichen Unterschied zwischen Hochsprache und Dialekt, solange es um universale Themen der Dichtung geht.

Ist der Weg, den Sie mit „Puschtra Mund Art“ beschreiten, für Sie weiter verfolgbar, oder mit dieser Arbeit abgeschlossen?

Der poetische Versuch Puschtra Mund Art ist im Wesentlichen abgeschlossen. Einige meiner Texte sind vertont. Nachzüglergedichte und Lieder mögen folgen. Sie werden nichts Neues bringen. Wenn andere in ihrer Mundart oder auf ihre Art mein Experiment fortschreiben, bin ich glücklich.




AUSA UNT AUSN
fi n wiilanda hons

ausa fan pauche
ausa fan kindowaggilan

ausa fa di schuiche
ausa fa do schuile

ausagiwoxxn fan giwonte
ausagiwoxxn fan lonte

olls zi klaan

ausn pan ggotto
ausn pan templ
ausn pan toare
ausn pan toule
la ausn

iwo nain zaine

et doliitn dohaame
ka glaichat et kott

amende plaip a frisch afoore
amende kimp a nimma hinto

do pui
do schpassige
woss wasche

___________
HERAUS UND HINAUS // für Hans Wielander // heraus aus dem Bauch / heraus aus dem Kinderwagen // heraus aus den Schuhen / heraus aus der Schule // herausgewachsen aus dem Gewand / herausgewachsen aus dem Land // alles zu klein // zum Gatter hinaus / zum Tempel hinaus / zum Tor hinaus / zum Tal hinaus / bloß hinaus // über neun Zäune // nicht mehr ausgehalten daheim / dergleichen nicht vorstellbar // vielleicht bleibt er gleich ganz außer Landes / vielleicht kommt er nie mehr zurück // der Bub / der sonderbare / was weiß man schon
/>

DAS VOLKSBUCH VOM DOCTOR FAUST

HISTORIA VON DOCTOR JOHANN FAUSTEN dem weitbeschreyten Zauberer unnd Schwartzkünstler
Wie er sich dem Teufel auf eine Zeit verschrieben, was er für seltsame Abentheuer gesehen und selbst getrieben, bis er endlich seinen wohlverdienten Lohn empfangen. Aus seinen eigenen hinterlassenen Schriften allen hochtragenden, fürwitzigen und gottlosen Menschen zu schrecklichem Beyspiel, abscheulichem Exempel und treuherziger Warnung zusammengestellt und ins Gewissen geredet
durch
SEBASTIAN BAUR



Burgeis, Fürstenburg
Freitag, 11. November 20:30 uhr


historia_faust

Zur Lesung: Als mir vor vier Jahrzehnten die „Historia von Doctor Johann Fausten“ in die Hand geriet, war ich entzückt von jener Mischung aus Treuherzigkeit, religiösem Eiferertum, naivem Bildungsauftrag und schierer Komik, wie sie der umständlich-hintersinnigen Darstellung des Faustschen Kosmos entspringt. Sogleich hatte ich den Wunsch, mein Textvergnügen mit einem interessierten Publikum zu teilen. Um dem heutigen Zuhörer ungetrübtes Verständnis dieses schrulligen christlichen Schauerromans zu garantieren, habe ich den Text behutsam bearbeitet und den Erzählbogen etwas kürzer gespannt. Dabei habe ich die Kapitel so ausgewählt, dass Aufbau und Intention des Volksbuchs gewahrt bleiben. Die szenische Lesung erfolgt in der klangvollen und bilderreichen Sprache der frühneuhochdeutschen Frankfurter Originalfassung von 1587; sie dauert eine gute Stunde und wird mit Einspielungen von Renaissancemusik oder live-Musikeinlagen akzentuiert. (Sebastian Baur)

VON GRANTLERN UND KÄUZEN

LITERATURKAFFEEHAUS in der Bibliothek Lana.

SEBASTIAN BAUR serviert Literatur aus dem Alten Österreich


Ort: Lana, Neue öffentliche Bibliothek, Hofmannplatz 1
Zeit:Dienstag, 15. November 20 Uhr


Phantasie, Bosheit und Witz schreibt Robert Musil der von ihm „Kakanien“ genannten k.u.k. Donaumonarchie zu. Dieser immer noch fruchtbare mitteleuropäische Sprachhumus hat so unterschiedliche Blüten getrieben wie die wortgewaltigen Szenen und Dialoge in den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus, die kauzigen und verspielten Prosaskizzen von Autoren wie Heimito von Doderer, Fritz von Herzmanowsky-Orlando, Gregor von Rezzori, Roda Roda, und die hintersinnigen Dramolette und kongenialen Villon-Nachdichtungen in Wiener Mundart von H.C.Artmann.


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